Literatur am Fenster.
Innen an außen! Wir reagierten im Juni 2020 spontan auf die virusbedingten Beschränkungen mit einem neuen Projekt und laden seither Dichterinnen und Dichter ein, das große k48-Schaufenster für jeweils ein paar Wochen zu beschreiben. Kurator: Oliver Hangl
"Früher im Deutschunterricht Fetzen kassiert, heute werde ich fürs Schreiben bezahlt."
Ich glaube, wenn ich in der Zeit zurückreisen könnte und der 10-jährigen Elif erzählen würde, was ich heute beruflich mache, würde sie mir garantiert nicht glauben. Damals habe ich nämlich jeden Abend vor einer Deutschschularbeit geweint und geweint habe ich auch, als ich sie wieder mit einem "Nicht Genügend" bewertet zurückbekommen habe. Damals war mir aber folgendes nicht bewusst: Sprachen lernen ist wie sein Glas mit Wasser aufzufüllen. Österreichische Kids haben ein Glas, das ziemlich schnell voll ist, da sie auch zuhause Deutsch sprechen und von ihren Eltern Input bekommen. Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, haben zwei Gläser. In der Zeit, in der das österreichische Kind sein Glas ganz aufgefüllt hat, hat ein Kind, das zum Beispiel zuhause noch Türkisch spricht, zwei halbvolle Gläser. Es dauert noch eine Weile, bis sich diese beiden Gläser füllen. Sind die Kinder jedoch mal Teenager, dann steht der österreichische Teenager mit nur einem Glas da, während der türkische Teenager zwei volle Gläser besitzt. Es war vollkommen normal, dass ich mir bis zur 3. Klasse im Deutschunterricht schwer getan habe. Mein Glas war noch nicht ganz voll.
Ich hoffe, dass Kinder, die eigentlich gerne Geschichten erfinden, nicht von ihren Deutschnoten entmutigt werden weiterzuschreiben. Ich habe mir gerne Geschichten ausgedacht, aber wäre wegen meinen schlechten Deutschnoten nie auf die Idee gekommen, irgendwann in der Zukunft Schriftstellerin/Autorin zu werden. Es war der Zufall, der mich wieder zum Schreiben gebracht hat und es waren paar Leute, die an mich geglaubt haben und mich an der Hand genommen haben, weswegen ich dabei geblieben bin und das Schreiben heute meinen Beruf nennen darf. Danke, Slamily <3
In diesem Sinne: An alle, die ähnliche Erfahrungen hatten und alle Kids da draußen denen es so ähnlich geht wie mir damals: If I can do it, so can you.Elif Duygu ist österreichische Meisterin im Poetry Slam und zwar im Team- und im Einzelwettbewerb. 2016 gewann sie den Redewettbewerb "Sag's Multi!" mit der Sprachkombination Deutsch-Türkisch. Sie hatte bereits zahlreiche Auftritte in ganz Österreich und unter anderem auch in Deutschland, Ungarn, Luxemburg, der Slowakei und Italien. Im Dezember 2022 hat sie Österreich bei den Europameisterschaften in Rom vertreten. Sie schreibt ihre Texte in der deutschen und englischen Sprache und hat bereits einige dieser in diversen Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht.
Termin: 15.05.-05.06.2023
k48 – Offensive für zeitgenössische Wahrnehmung
Projektraum Oliver Hangl
Kirchengasse 48/Lokal 2, 1070 Wien
Unterstützt von: BMKOES-Kunst, Kultur Neubau, Wien Kultur-MA7
Dank an: cyberlab, Brillenmanufaktur